Es war
eine Schockmeldung für ganz Österreich,
aber auch über die Grenzen hinaus, als am 2.
August 2014 bekannt wurde, dass die damalige Nationalratspräsidentin
Mag.a Barbara Prammer (SPÖ) den Kampf gegen ihre
Krebserkrankung verloren hatte. Nicht zuletzt ihr
steiniger Weg vom Arbeiterkind an die Spitze des Parlaments,
ihre humane Leitung von Parlamentsdebatten aber auch
die von ihr initiierte Demokratiewerkstatt für
Kinder machten sie bei der Bevölkerung beliebt.
Kenner der Politikszene trauten ihr deshalb auch als
erste Frau den Sprung ins Bundespräsidentenamt
zu. Trotz großer politischer Erfolge habe Prammer
nie die Bodenhaftung und den Bezug zu ihrer Heimat
und Familie verloren, erinnert sich Bruder Klaus Thaller
(59). Im Interview spricht er über die letzten
Stunden seiner berühmten Schwester, Familienleben
und wie es dazu kam, dass Prammer nicht in Oberösterreich
sondern in Wien begraben wurde.
Herr Thaller, wie geht es Ihnen fünf Jahre
nach dem Tod Ihrer Schwester Barbara Prammer?
Klaus Thaller:
Das Thema Barbara
ist nach wie vor schwierig. Wir sprechen natürlich
im familiären Kreis über sie, stellen
dann aber fest, dass ihr Tod noch nicht überwunden
ist und wohl kaum überwunden werden kann.Mit
dem Bekanntwerden der Diagnose Krebs standen Ihre
Schwester Barbara und Ihre Familie plötzlich
vor einer harten Prüfung.Ja,
in Linz hat sie Mitte September 2013 die Diagnose
bekommen und ich war mit meiner zweiten Schwester
Sylvia, Büroleiter Helfried Carl und Pressesprecher
Gerhard Marschall dabei. Carl und Marschall rieten
Barbara in die Presse zu gehen, was sie aber zu
diesem Zeitpunkt noch ablehnte. Das war der erste
und einzige Moment, in dem bei Barbara sichtlich
Angst aufkam. Sie wollte nicht, dass ihre schlimme
Situation ausgenutzt und negativ über sie berichtet
wird. Mit der Diagnose Krebs in die Presse zu gehen,
bedeutete für sie sicher eine große Überwindung.
Welche Rolle spielten
Sie während der Krankheit?
Ab der Diagnose hat
sich die Familie bemüht, Barbara bei allen
Behandlungen zu begleiten und auch an freien Wochenenden
bei ihr zu sein. Ich habe vor allem die Aufgabe
gehabt, meine Eltern zu informieren. Mein Vater
hat stets nachgefragt, als er die Diagnose erfuhr,
weil er die Situation nicht wahrhaben wollte. Nach
und nach zerbrach er an Barbaras Schicksal. Die
Übermittlung war der erste Stoß.Wie
ging es weiter?Bis
Weihnachten 2013 war Barbaras Zustand stabil. Am
Heiligen Abend bekam noch jeder von uns Geschwister
ein spezielles Geschenk. Es wirkte wie ein Abschied.
Ab Jänner ist es mit ihrer Gesundheit dann
leider bergab gegangen.
Welche Erinnerungen
haben Sie an das Wochenende, als Ihre Schwester
im Sterben lag?
Einen Tag bevor sie
gestorben ist, also am Freitag, den 1. August 2014,
sind wir alle nach Wien gefahren, da wir wussten,
dass sie dieses Wochenende nicht mehr überleben
wird. Ich wurde dann von meinen weiteren Schwestern
und Pressesprecher Marschall gebeten, heimzufahren,
damit jemand zuhause ist, um gleich die Eltern von
Barbaras Ableben zu informieren. Schließlich
sollten sie Barbaras Tod nicht aus der Presse erfahren.
Am nächsten Tag um drei Uhr habe ich dann von
ihrem Tod erfahren.
Wie erlebten Sie Barbara Prammers Todestag am Samstag,
2. August 2014 ?
Ich habe gewartet.
Um 15 Uhr kam dann die schreckliche Nachricht. Ich
fuhr zu meinen Eltern nach Ottnang, habe sie umarmt
und gesagt, dass Barbara nun gestorben sei. Es hat
lange gedauert, bis meine Eltern Barbaras Tod realisieren
konnten. Dann sind sie aber relativ schnell mental
und körperlich gebrochen.
Konnten Ihre Eltern
zum Begräbnis auf den Wiener Zentralfriedhof
kommen?
Ja, sie waren bei der
Urnenbeisetzung im engsten Kreis mit Familie und
Freunden dabei. Aufgrund ihres gesundheitlichen
und mentalen Zustandes wollten sie jedoch am offiziellen
Staatsakt nicht teilnehmen.
Barbara Prammer
galt als stark verbunden mit ihrem Heimatort Ottnang
am Hausruck. War es Ihr persönlicher Wunsch
in Wien begraben zu sein?Wir
konnten uns zum Glück an ein makabres aber
sehr lustiges Gespräch mit Barbara erinnern.
Dabei hat sie uns "gestanden", dass sie
sich in vielen Jahren schon über ein Ehrengrab
für ihr politisches Engagement freuen würde.
Die Stadt Wien hat uns ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof
angeboten und wir durften dort einen schönen
Platz für die Grabstätte aussuchen.
Wie sehr fehlt Ihnen
Ihre Schwester?
Sehr, besonders bei
Familientreffen, die Barbara sehr gerne hatte und
zum Abschalten brauchte.Hatte
Ihre Schwester neben Ihrer Karriere als Politikerin
denn Zeit für regelmäßige Familientreffen?Das
war relativ einfach: Sie hat gesagt, wann sie Zeit
hat und wir haben uns danach gerichtet. Es gab kein
Weihnachten, kein Ostern, keinen Geburtstag, wo
sie nicht dabei war. Im Schnitt sahen wir sie alle
drei Monate.
Zu welchen aktuellen Themen würden Sie Ihre
Schwester heute am liebsten befragen?
Es wäre
eine gute Frage, wie sie das Flüchtlingsthema
anpacken würde. Grenzen zudrehen, Leute sterben
lassen, und die Einstellung Hauptsache uns
geht es gut hätte ihr mit Sicherheit
nicht gefallen. Sie fehlt in der österreichischen
Innen-Politik aber vor allem unserer Familie.
Was denken Sie,
wie wäre Barbara Prammers politische Laufbahn
weitergegangen?
Ich glaube nicht, dass
sie noch einmal ein Ministeramt in der Bundesregierung
angestrebt hätte. Als erste weibliche Bundespräsidentin
wäre sie mit Sicherheit zu den großen
SPÖ-Politikern neben Bruno Kreisky, Hannes
Androsch und Heinz Fischer aufgestiegen. Das hätte
ich ihr vergönnt.
Was hat ihre
Schwester politisch und gesellschaftlich geprägt?
Insgesamt sind
wir sehr politisch aufgewachsen. Wir wurden mit
Kreisky groß und mein Vater war Ende der 1970er
Jahre auch Bürgermeister. Seine Erfahrungen
aus 40 Jahren Gemeindepolitik hat er Barbara vermittelt.
Was die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau
anbelangt, haben uns die Eltern viel mitgegeben.
Vor allem unsere Mutter, die von Kleidung bis zu
Kleiderkästen alles herstellen konnte, war
Barbara ein sehr großes Vorbild.
Beschreiben Sie
Ihre Lebensbedingungen?
Wir stammen aus einer Arbeiterfamilie, wo Geld immer
knapp war. Dennoch schafften es meine Eltern mit
viel Fleiß, uns Kindern gute Lebensbedingungen
und Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Leben
und Bildung konnten also nur mit Müh und Not
finanziert werden und das hat Barbara nie vergessen.
Deshalb lebte sie den sozialen Gedanken und setzte
ihn in ihrer Politik um. Ich bin sehr stolz auf
sie.
Gab es einen Zeitpunkt, ab dem Sie realisiert haben,
dass Ihre Schwester in der Innenpolitik angekommen
ist?
Die Anfänge von Barbaras politischer Tätigkeit
habe ich nicht mitbekommen. Zum Beobachter ihrer
Karriere wurde ich, als sie in den Landtag gewählt
wurde. Von da an habe ich begonnen, mit zu zittern.Wie
war Ihr Gefühl, als Ihre Schwester regelmäßig
in den Medien vertreten war?Wenn
ich sie im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört
habe, konnte ich es kaum glauben, dass meine Schwester
zu hören oder sehen ist. Das war ein komisches
Gefühl. Was ihre Rhetorik betrifft, hat sie
sich über die Jahre stark verbessert.
Gab es auch Momente, wo sie mit der Berichterstattung
nicht zufrieden waren?
Mit der medialen
Berichterstattung war ich grundsätzlich zufrieden,
obwohl ich schon erwähnen muss, dass die Medien
sie zu Beginn ihrer politischen Karriere nicht ganz
ernst nahmen. Ich kann mich erinnern, sie war gerade
Landtagspräsidentin geworden und es wurde berichtet,
dass sie Schuhe einkaufen war. Da dachte ich mir
schon, wen soll das interessieren. Ich denke, durch
ihre gute politische Arbeit hat sie sich aber die
Anerkennung der Medien verdient und auch gut mit
ihnen zusammengearbeitet. Auch während der
Zeit ihrer schweren Erkrankung habe ich die Berichte
sehr fair gefunden. Generell finde ich, dass sie
in den Medien gut abgeschnitten hat.
ZUR PERSON:
Klaus Thaller ist der jüngere Bruder der verstorbenen
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Bis
zu ihrem Tod stand er in engem Kontakt mit seiner
um sechs Jahre älteren Schwester. Bereits sein
Vater Leopold Thaller (SPÖ) war Ende der 1970er
Jahre als Bürgermeister von Ottnang am Hausruck
politisch tätig. Dadurch wurden Klaus Thaller,
Barbara Prammer und zwei weitere jüngere Schwestern
schon früh politisch geprägt. Heute lebt
der 59-Jährige in Ried im Innkreis und ist
im Vertrieb tätig.